Es ist das Osziliieren zwischen sowohl zeitlichen Ebenen als auch verschiedenen Genres, welches die fotografische Porträtserie “Introducing Viola” der dänischen Künstlerin Pernille Koldbech Fich auszeichnet und den Betrachter gleichermaßen zu faszinieren und zu verstören vermag. Die porträtierten Personen in “Introducing Viola” scheinen vertraut und fremd, geheimnisvoll zugleich; sie scheinen einerseits aus dem 21. Jh zu stammen, und wirken doch wie aus einer anderen Zeit. Nachdenklich und gedankenverloren, häufig dem Betrachter abgewandt, stehen oder sitzen sie vor zeitlos dunklen, lichtschimmernden Wänden, die an Hintergründe historischer Porträts der Malerei erinnern; umgeben von poetisch-melancholischer Stille und rätselhafter Distanziertheit.
Roland Barthes schrieb in seinem 1980 in Paris erschienenen Essay “Die helle Kammer – Bemerkung zur Photographie”: “Der erste Mensch, der die erste Photographie sah, muß geglaubt haben, es sei ein Gemälde: der gleiche Ausschnitt, die gleiche Perspektive. Die Photographie wurde und wird immer noch vom Gespenst der Malerei heimgesucht; sie hat die Malerei, indem sie diese kopierte oder in Frage stellte, zur absoluten, zur väterlichen Referenz gemacht, so als wäre sie aus dem Gemälde hervorgegangen….“.i
In Hinblick auf die Geschichte der Porträtfotografie lässt sich diesbezüglich feststellen, dass frühe Aufnahmen in der Tat Erinnerungen an die Malerei erwecken. Dies mag u.a. dadurch zu erklären sein, dass zu Beginn der Fotografie noch relativ lange Belichtungszeiten nötig waren. Bewegungslosigkeit war deshalb ein entscheidendes Kriterium für das Gelingen der fotografischen Sujets, welche notfalls erzwungen werden musste. So wurden die zu porträtierenden Personen zumeist mit einer speziellen Vorrichtung, der sogenannten Fixierstellage, in Position gebracht. Die Positionen, in denen die Menschen anschließend abgelichtet wurden, waren so nicht nur durch Konvention und Fotografen vorgegeben, sondern auch von den Stellagen mitbestimmt. Die dadurch bedingte Bewegungslosigkeit sowie die häufig aus der Malerei übernommenen Repräsentationsmuster, in denen die Menschen abgelichtet wurden, mögen es sein, welche in jenen frühen fotografischen Portraits den Eindruck von historischer Stille erwecken und gleichzeitig an die Zeitlosigkeit und Bedeutungserhöhung des malerischen Genre erinnern.ii
In ihrer Serie “Introducing Viola” greift Koldbech Fich nun genau diese malerische Ästhetik auf und verstärkt sie aufgrund der Farbigkeit, Oberflächenbeschaffenheit und Lichtstimmung der von ihr verwendeten Räumlichkeiten. Auf diese Weise schafft die Künstlerin einen zeitlosen Rahmen für ihre Porträts, der sich wie ein feiner Schleier über die porträtierten Personen legt und ihnen etwas Universales, allzeit Gültiges verleiht. Dieser zeitlos anmutende Rahmen wird jedoch im Folgenden insofern wieder aufgehoben, als die Künstlerin hier bewusst ein erzählerisches Moment einbaut, welches die stillen Szenen gleichzeitig für eine vermeintliche Handlung öffnet und damit eine spannungsreiche Divergenz zwischen der malerei-inhärenten Zeitlosigkeit und der wiederum zeitlich gebundenen Abfolge einer filmischen Narration schafft.
Tatsächlich scheinen die abgebildeten Personen in einem geheimnisvollen, nicht erklärbaren Zusammenhang zueinander zu stehen. Das Konzept der Serie, welches Koldbech Fich hier wählt, sowie die bereits erwähnten Räumlichkeiten, mit denen sie hier ein verbindendes Element zwischen den Einzelbildern schafft, sind dabei erste wichtige Gestaltungsmittel, um den Eindruck einer den Aufnahmen eingeschriebenen Narration zu erwecken. Besondere Wichtigkeit jedoch erhält in diesem Zusammenhang die Aufnahme mit dem Titel “Bed and Breakfast #1”: Als Stilleben konzipiert, zeigt sie lediglich eine Ansammlung leerer Gläser und Glaskaraffen auf dunklen Holzdielen, auch diese vor monochrom braungestrichenen, lichtreflektierenden Wänden und Überreste einer stattgefundenen Party oder Zusammenkunft andeutend. Neben der hier noch verstärkt evozierten Assoziation zum malerischen Genre ist es gerade diese Fotografie, welche auf eine vor dem Zeitpunkt der Porträtaufnahmen stattgefundene Aktion verweist und damit einen konkreten zeitlichen Rahmen, eine Art vermeintlich narratives Verbindungselement zwischen den Porträtierten, schafft.
Die damit entstehende Erwartung eines linearen Erzählstranges wird jedoch enttäuscht, die vermeintliche Handlung bleibt diffus und ungreifbar. Koldbech Fich wählt eine bewusst distanziertbeobachtende Position, wodurch die Menschen fern und undurchdringlich wirken. Der Betrachter nimmt zwar einerseits am vermeintlichen Geschehen teil, bleibt aber letzten Endes doch ausgeschlossen. Für das inhaltliche Verständnis wichtige Bilder, die die Porträts in einen klaren Sinnzusammenhang bringen könnten, fehlen. Genau dadurch wird jedoch wiederum ein Raum für Assoziationen geöffnet, die von der angedeuteten Malerei- und Fotografiegeschichte bis hin zum Medium Film reichen. Deren Entschlüsselung aber wirft den Betrachter auf sich selbst zurück, lässt ihn allein.
Spätestens hier wird deutlich, dass es Koldbech Fich nicht um das reine, klassische Porträt geht. Nicht die möglichst authentische, wirklichkeitsgetreue Abbildung der jeweiligen Personen steht im Vordergrund, sondern vielmehr die Schaffung jenes Oszillierens zwischen Wirklichkeit und Fiktion, tatsächlicher Persönlichkeit der Porträtierten und diffuser Semi-Fiktionalität, welche bei allen Fotografien mitschwingt, ohne klar erfassbar zu sein. Genau dies vermag jene bezwingende Atmosphäre aus vergangenen und gegenwärtigen Zeiten zu schaffen, aus Wirklichkeit und Fiktion, aus assoziationsreicher Vermischung von Fotografie, Malerei und Film, welche sich über die Wahrnehmung dieser großformatigen Fotografien legt und uns als geheimnisvoll-rätselhaft, stillpoetisch noch lange im Gedächtnis verbleibt.
Gerade in diesem selbstbewussten Spiel mit der Affinität zur Malerei einerseits und zum filmischen Genre andererseits kann Koldbech Fichs Fotografie vor dem Hintergrund einer bezeichnenden, in den letzten Jahrzehnten vollzogenen Transformation der künstlerischen Fotografie betrachtet werden: nämlich die heute möglich gewordene, spielerische und freie Rückbezugnahme auf andere Medien und Genres, ohne dass die Fotografie sich hier noch länger als künstlerisches Medium behaupten müsste.
Ann-Christin Bertrand
i – Vgl. Barthes, Roland: Die helle Kammer – Bemerkung zur Photographie, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1985, S. 40
ii – Hoffmann, Felix: Das Selbst als ein Anderer – Die Pose im Blick der Fotografie. In: “Was ich von ihnen gesehen und was man mir von ihnen erzählt hatte” – Der fotografierte Mensch in Bildern der fotografischen Sammlung im Museum Folkwang. Museum Folkwang, Essen; Steidl Verlag, Göttingen 2003, S. 10/11
INTRODUCING VIOLA
© Ann – Christin Bertrand 2010.
Translated from German: Leyla Grey
It is the oscillation between temporal levels as much as between different genres that makes Danish artist Pernille Koldbech Fich’s photographic portrait series ‘Introducing Viola’ so outstanding and able both to fascinate and disturb the observer in equal measure. The people portrayed in ‘Introducing Viola’ seem at once both mysteriously familiar and alien; on the one hand they appear to originate in the 21st century and yet on the other to come from another time. Pensive and preoccupied, often turned towards the observer, they stand or sit in front of timeless dark, lustrous walls which remind one of the backdrops of historical painted portraits; surrounded by melancholic, poetic stillness and a mysterious aloofness.
In his 1980 essay published in Paris Camera Lucida: Reflections on Photography Roland Barthes wrote: “The first person to see the first photograph must have believed it was a painting: the same layout, the same perspectives. Photography has been and always will be haunted by the spectre of painting; by copying it or calling it into question it has made painting into the Absolute, the authoritative father-figure, as though it has arisen out of painting.” .i
Concerning the history of portrait photography one can declare that its earliest attempts do in fact recall painting. This may be explained by the fact that, among other things, to begin with, photography required relatively long exposure times. Immobility was therefore a critical criterion for the success of the photographic subject and sometimes had to be enforced. For this reason, the people portrayed were in the most part photographed using a particular device, the so-called fixed position system. The positions in which people were finally photographed were therefore not only determined by convention and the photographers, but also by the fixed position. The resulting immobility as well as the patterns of representation, often taken from painting, in which people were photographed in these early portraits could well be at the root of the impression of a historical stillness and at the same time evoke the timelessness and increased significance of the genre of painting..ii
In her series ‘Introducing Viola’, Koldbech Fich picks up precisely this painting aesthetic and enhances it using colour, surface texture and lighting atmospherics of the spaces she uses. In this way the artist creates a timeless framework for her portraits, which places itself over the people portrayed like a fine veil, lending them a somewhat universal and eternal quality. This seemingly timeless frame is however contradicted by the artist’s conscious creation of a narrative which opens up the still scenes into a supposed story and, with it, an exciting divergence between a timelessness inherent to painting and a time-bound sequence created by the filmic narrative.
In fact the depicted people appear to stand in mysterious, inexplicable relations to each other. The concept of the series, which Koldbech Fich chooses here, as well as the already-mentioned spaces with which she creates a unifying element between the individual images, are the first important design element to give an impression of narration to the photographs.
In this connection, the picture with the title Bed and Breakfast #1 has a particular importance. Conceived as a still-life, it shows only a collection of empty glasses and decanters on dark wooden floor, and this too is against monochrome, brown-painted, light-reflecting walls, and the suggestive remains of a party or gathering. Alongside the enhanced association with painting here evoked, it is precisely this photograph, which refers to an action that took place before the portrait was taken and thereby to a concrete temporal framework, that creates a kind of imagined narrative link between the portraits.
The resulting expectation of a linear narrative strand will however be frustrated – the supposed story remains diffuse and intangible. To make her observations Kolbech Fich takes up a deliberately distant position through which people appear far away and impenetrable. The viewer on the one hand takes part in the imagined story, but remains ultimately excluded. Pictures that would aid in the comprehension of the narrative meaning, and which could put these portraits into a clear meaningful connection with each other, remain absent. Yet it is precisely this, which opens up a space for association that reaches from the implied history of painting and photography up to the medium of film.
Their decoding throws the viewer on himself, leaves him to his own. By this time it is clear that Koldbech Fich is not interested in the pure, classical portrait. The focus is not on the depiction of a person in a manner as authentic and realistic as possible, but rather the creation of an oscillation between reality and fiction, between the actual person portrayed and a diffuse semi-fiction, something which resonates throughout all the photos without ever being clearly tangible.
It is this compelling atmosphere created between the past and the present, reality and fiction, created from the association-rich mix between photography, painting and film, which permeates the perception of this large-format photographs and remains in our memory long after as mysterious, enigmatic, poetic and still.
In this confident game with the affinity to painting on the one hand and the genre of film on the other, Koldbech Fich’s photography can be considered against the background of artistic photography’s significant transformation, achieved in the last few decades, namely the possibility today of playful and free references to other media and genres without the need for photography to have to assert itself as an artistic medium.
Ann-Christin Bertrand
.i – Barthes, Roland: Die helle Kammer – Bemerkung zur Photographie (The Camera Lucida: Reflections on Photography), published by Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1985, S.40
.ii- Hoffmann, Felix: Das Selbst als ein Anderer – Die Pose im Blick der Fotografie. In: “Was ich von ihnen gesehen und was man mir von ihnen erzählt hatte”
– Der fotografierte Mensch in Bildern der fotografischen Sammlung im Museum Folkwang. (The Self as Other – The Pose in Photography’s Gaze. In: “What I’ve seen of them and what I was told about them”
– The photographed person in photos from the photographic collection in the Folkwang Museum.) Published by: Museum Folkwang, Essen; Steidl Verlag, Göttingen 2003, S. 10/11